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Kirchenstühle, Emporen und Chorgestühl in der alten Jöllenbecker Marienkirche

 

„Es wird das Verbot in Erinnerung gebracht 

sich des Schiebens und Drängens auf den Priechen 

bei empfindlicher Leibesstrafe zu enthalten.“1

  

Für die Bewohner des Jöllenbecker Kirchspiels galt der sonntägliche Kirchenbesuch als selbstverständlich. Der arbeitsfreie Sonntag war der geistliche Höhepunkt der Woche. Ein einheitliches Kirchengestühl gab es vor der Reformation vermutlich noch nicht;2 die Gläubigen verfolgten stehend oder kniend den Gottesdienst. Für den Küster und die beiden Provisoren (Presbyter) stand an der südlichen Längsseite des Chorraums ein mit einem „ausgeschnitzten Verdeck“ versehenes Chorgestühl bereit, das mit seinen klappbaren Stühlen (Mettenstühle) und den Armlehnen den Kirchenbediensteten eine bequeme Sitzgelegenheit bot.3

Den Besuch des Gotteshauses nutzten die frommen Besucher als Möglichkeit des Austausches von Neuigkeiten und intensiver Kommunikation; die Leute verabredeten sich und planten Feiern und Feste als Ausgleich zum harten Arbeitsleben. Die in der Kirche leuchtenden Wachskerzen gewann man aus den wilden Bienenstöcken der gemeinen Marken. Das hohe Kirchenschiff - Kern des Gotteshauses - bildete den einzigen Versammlungsraum des Kirchspiels. Der große Raum wirkte auf das Gemüt der schreibunkundigenLeute, die ver mutlich schon auf einen Kirchenaltar blickten, der ihnen in einfachen geschnitzten oder gemalten Bildern seine christliche Botschaft erzählte.

Die relativ späte Einführung der Reformation in Jöllenbeck war ein allmählicher und schleichender Vorgang und kann daher nicht auf ein bestimmtes Datum festgelegt werden. Mit der Reformation änderten sich auch die Ausstattung der Kirche und die Rituale des Gottesdienstes. Die Gestaltung des Kircheninnenraumes oblag der Gemeinde. Die neue Predigt erhielt eine zentrale Bedeutung im deutschsprachigen Gottesdienst, der nur noch an den Sonn- und Feiertagen stattfand.

Die Errichtung von Sitzmöbeln sollte daher das Herumlaufen oder Verlassen der Kirche verhindern und die Konzentration auf die nicht selten lange Predigt fördern. Die neue Sitzordnung ermöglichte auch die genaue Kontrolle der Frauen und Männer, die die Kirche durch eigene Eingänge betraten. Zudem offenbarte die geographische Lage des jeweiligen Kirchenstuhls den sozialen Rang seines Besitzers innerhalb der kirchlichen und weltlichen Hierarchien.

Im Jahr 1577 errichteten fleißige Handwerker für die wachsend Gemeinde erstmals eine offene Empore (Prieche) als Zwischengeschoß. Im Westteil der Kirche bauten Zimmerleute als zweite Etage eine Holzkonstruktion mit etwa fünfundachtzig erhöhten Sitzplätzen ein. So konnten weitere Gläubige am Gottesdienst teilhaben und bequem die Predigt verfolgen. In die Brüstung der neuen Empore schnitzte ein kundiger Handwerker einige Wörter in plattdeutscher Sprache und die Jahreszahl 1577.4 Die Sitze auf der südlichen Seite der Prieche kaufte die Niederbauerschaft auf.5 Betraten die Gläubigen den Mittelgang der Dorfkirche, erblickten sie auf den linken Bankreihen die Frauen und Mädchen, auf den rechten die Männer und Knaben. Moral und Sitte ließen Frauen und Männer getrennt sitzen. Für die Bauern, Leibzüchter und Heuerlinge standen in der alten Jöllenbecker Kirche überwiegend Familienkirchenstühle zur Verfügung; Mägde und Knechte hockten auf der 1577 errichteten Holzprieche, der 1654 im nördlichen Seitenschiff eine weitere folgte. Von den ärmeren Bewohnern wagte es keiner, auf den vorderen Kirchenbänken der Bauern Platz zu nehmen.

1 Südliche Seitenansicht der erweiterten alten Kirche mit Spitzturm, Mittelschiff, Seitenschiff, Sakristei und fünfachtel Chor. 

Zeichnung nach Albert Ludorff mit Ergänzung (Turmspitze) des Verfassers.

Die neben der Kanzel nach Süden stehenden Kirchenstuhlreihen hatten einmal den Männern gehört. Es waren billige Stühle, die überwiegend vom unverheirateten Gesinde besetzt wurden und selbst nicht gekauft werden konnten. Nur der Bauer durfte einen solchen Stuhl auf den Namen seiner Frau mieten. Zu den billigen Stühlen gehörten auch die Sitze an den Seiten, in den Ecken, an den Türen und jene, von denen man den Altar nicht sehen konnte. Die zahlreichen Angehörigen der unterbäuerlichen Schichten, die im kleinen Gotteshaus nicht selten ohne Sitzplatz blieben, hockten in der Regel auf den billigen hinteren Bänken.6 Eigentümer der Stühle blieb die Kirche, ohne deren Erlaubnis der Sitz weder verliehen, verkauft oder getauscht werden durfte. Starb ein Kirchenstuhlbesitzer ohne einen Erben zu hinterlassen, fiel der Stuhl zurück in den Besitz der Kirche.

Schauten die im Mittelschiff sitzenden Kirchenbesucher nach oben, sahen sie die auf Säulen ruhenden kuppelartigen Gewölbe; die auf der 1577 erbauten hölzernen Empore im Westteil der Kirche und die auf der 1654 errichteten Prieche im schmalen nördlichen Seitenschiff hockenden Gläubigen erblickten das Kreuzgewölbe mit den Rippen und den Schlußsteinen. Der hölzerne Taufstein befand sich schräg links neben dem Altar, vor und daneben lagen die Grabsteinplatten der verstorbenen Predigerfamilien. Freie Plätze wird es in dem überfüllten und fast schmucklosen Gotteshaus nicht gegeben haben. Die im Winter unbeheizte Kirche bildete auch lange Zeit den regulären Ort des Konfirmandenunterrichts. In der Kirchenmitte hing ein schwarz und blau angestrichener achtarmiger Holzkronleuchter, der, wie die aufgestellten und aufgehängten Leuchter, vom Küster mit Wachskerzen versorgt werden mußte. Die weniger kostbaren Talglichter nutzte man für die dauerhaften Beleuchtungen.

Da die zahlreichen Kirchensitze des Gotteshauses nach Gutdünken vermietet oder verkauft werden konnten und für die Kirche eine wichtige und regelmäßige Einnahmequelle darstellten, fertigte der Adjunktus und spätere Pastor Joachim Henrich Hagedorn (1707-1768) noch 1733 in einer mehrstündigen Sitzung eine grobe Skizze der Kirchenstuhlreihen, Emporen und des Chorgestühls an. 

2 Grobe und nicht maßstabsgerechte Skizze der Kirchenstuhlreihen, der Emporen und des Chorgestühls mit der Kanzel, der Taufe, dem Altar und der Sakristei, 1733 

Zeichnung: Joachim Henrich Hagedorn (1707-1768)

Die Kanzel bildete den Mittelpunkt des Raumes. Bänke und Chorgestühl waren um die Kanzel angeordnet.

Im Jahr 1746 errichteten Handwerker im südlichen Seitenschiff der Marienkirche eine weitere Holzempore, so daß für die fast eintausendneunhundert Gläubigen über fünfhundert Sitzplätze bereitstanden.8 Alle Emporen wiesen eingeschnitzte Jahreszahlen und kurze plattdeutsche Inschriften auf, gelegentlich auch das Ravensberger Wappen neben den Buchstaben, die die Besitzer der einzelnen Stühle auswiesen. Nicht selten wurde auf den hölzernen Priechen geschoben und gedrängt, was verboten war und zu empfindlichen Leibesstrafen führen konnte.9 Für einen weiteren Einbau von Sitzmöglichkeiten gab es jedoch weder im Mittelschiff, noch in den beiden Seitenschiffen sowie auf dem Chor keinen ausreichenden Platz mehr. Ebenso galt eine mögliche Erweiterung des alten Kirchengebäudes als problematisch. Bis zur Einweihung einer neuen Kirche, am 29. November 1854, sollte allerdings noch über ein Jahrhundert vergehen. Ende 1854 hatte Jöllenbeck fast viertausenddreihundert Einwohner.10


ANMERKUNGEN

1 Wilhelm Sudbrack: Einige Edikte und Verordnungen, die in den Jahren 1772-1805 in der Kirche zu Jöllenbeck publiziert worden sind, in: RB 8 (1908), S. 20.

2 Vgl. Josef Grünewald: Die Rechtsverhältnisse an Kirchenstühlen in ihrer grundsätzlichen Auffassung nach staatlichem und kirchlichem Recht besonders in Preußen, Paderborn 1927, S. 3 f.

3 Vgl. Gertrud Angermann: Die alte Kirche in Jöllenbeck, in: Walter Kleine-Doepke (Hrsg.): Heimatbuch Jöllenbeck, Detmold [1954], S. 29; vgl. Gertrud Angermann: Unsere Friedhöfe, in: Walter Kleine-Doepke (Hrsg.): Heimatbuch Jöllenbeck, Detmold [1954], S. 46; vgl. Erich Kassing: Verlorene Welt. Jöllenbeck. Eine Dorfgeschichte 1191-1500, Mscr. Hamm 2015, S. 44 f., 47.

4 Vgl. Johann August Stender: Alt-Jöllenbeck im Bild, Bd. 1, Masch. Bielefeld-Jöllenbeck 1973., S. 22; vgl. Johann Friedrich Wilhelm Aufderheide: Chronik von Jöllenbeck 1855-1881, Masch., übertragen von Ingrid Kamp-Aufderheide, Bielefeld 1978, S. 8; vgl. Erich Kassing: Verlorene Welt. Jöllenbeck. Eine Dorfgeschichte 1500-1700, Mscr. Hamm 2016, S. 60 f.

5 PAJ, Joachim Henrich Hagedorn: Kirchenstuhlverzeichnis ab 1726, Jöllenbeck 1730, zit. nach Stender: Alt-Jöllenbeck, S. 21.

6 Vgl. Angermann: Die alte Kirche, S. 24, 30 ff.

7 PAJ, Kirchenstuhlverzeichnis, S. 126.

8 Vgl. Angermann: Die alte Kirche, S. 24; PAJ, Joachim Henrich Hagedorn: Successoribus!, Jöllenbeck ab 1742, S. 230 (Einwohner im Jahr 1752: Oberbauerschaft 908, Niederbauerschaft 958).

9 Vgl. Sudbrack: Einige Edikte und Verordnungen, S. 20.

10 Chronik der Gemeinde Jöllenbeck, in: JB 15 (1983), S. 1554.

BILDNACHWEIS

1 Albert Ludorff: Die Bau- und Kunstmäler des Kreises Bielefeld-Land,

Münster 1906, S. 18.

2 PAJ: Kirchenstuhlverzeichnis.

ABKÜRZUNGEN

JB Jöllenbecker Blätter

PAJ Pfarrarchiv Jöllenbeck

RB Ravensberger Blätter 


© Erich Kassing 2020