- Ganz oben in Bielefeld
- Im Jahr 1191
- Geschichtliches
- Handwerk und Industrie
- Das geistliche Leben
- Früher und heute
Ganz oben in Bielefeld
Schaut man auf den heutigen Stadtplan der Stadt Bielefeld, so ist der Stadtbezirk Jöllenbeck, entstanden aus den ehemaligen Gemeinden Ober- und Niederjöllenbeck, Theesen und Vilsendorf, seit der Gebietsreform 1973 der nördlichste Bezirk, also „ganz oben in Bielefeld“.
Will man, aus der Innenstadt kommend, über Theesen oder Vilsendorf, aber auch aus den angrenzenden Kreisen Herford oder Gütersloh das Zentrum des Stadtbezirks Jöllenbeck erreichen, so muss man stets einen erheblichen Anstieg überwinden. Denn Jöllenbeck liegt mit seinem höchsten Punkt von 163,4 m ü.NN (im Nagelsholz, kleines Wäldchen „Binnerholz") auf einem Vorberg des Teutoburger Waldes, über 40 m höher als die Bielefelder Innenstadt, also auch diesbezüglich „ganz oben in Bielefeld“.
Er ist ein Quellgebiet vieler Bachläufe, so auch der Jölle und des Moorbaches, die durch Wiesentäler, hier Sieke genannt, und Feldgehölze in den Johannisbach fließen.1
Heute leben in diesem Stadtbezirk ca. 22.000 Menschen. Jöllenbeck ist ein Vorort Bielefelds, der für viele Bürger, ob jung oder alt, ob einheimisch oder zugezogen, ein attraktiver Stadtbezirk mit ansprechender Infrastruktur ist.
Stadtbezirk Bielefeld 2
Diese Artikel aus: Stadtbuch Bielefeld 1214 – 2014
Geschichte und Gegenwart
Bielefelder Verlag, Prof. Dr. Andreas Beaugrand
Die Artikel wurden von: Heinz Gößling, Hans Klöne, Hans-Heinrich Klußmann, Kai-Uwe von Hollen, vom Heimatverein Jöllenbeck verfaßt.
Quellen:
1) Horst Ulrich Fuhrmann: Jöllenbeck im Wandel der Zeit
Bildnachweis:
2) Wikipedia
Im Jahr 1191
Jöllenbeck im Jahr 1191
Jöllenbeck im Jahr 1191
Geschichtliches
Geschichtliches
Über 800 Jahre Theesen, Vilsendorf, Jöllenbeck
Schon 1802 schrieb der damalige Jöllenbecker Pfarrer Johann Moritz Schwager (1738–1804) über seinen Wohnort Jöllenbeck nach einer vierwöchigen Reise in sein Tagebuch: „Von Schildesche hatte ich nur noch eine Stunde nach Hause, es war eine schöne Sommernacht, wir kamen wohlbehalten in Jöllenbeck an und fanden – daß es nirgend besser sey, als zwischen seinen vier Pfählen. (…)“2 (gemeint sind die damaligen vier Schlagbäume an der ehemaligen Gemeindegrenze)
Die ersten urkundlichen Erwähnungen von Theesen und Vilsendorf stammen aus dem Jahre 1151, von Jöllenbeck aus dem Jahr 1191. Diese Erwähnungen nahmen die Gemeinden zum Anlass, im Jahre 1991 „800 Jahre Jöllenbeck“ oder 2001 „850 Jahre Theesen bzw. Vilsendorf“ zu feiern. Bei den Urkunden handelt es sich nicht um Gründungsurkunden dieser alten „Burschaften", sondern in diesen Urkunden wurden Veränderungen von Besitzverhältnissen festgehalten oder bestimmte Abgaben geregelt. Jöllenbeck, Theesen und Vilsendorf waren danach Bauerschaften, die sich aus mehreren kleineren Ortsteilen bzw. Nachbarschaften zusammensetzten. Plakat zur 800 Jahrfeier Jöllenbeck (1991) 12 |
Die ersten urkundlichen Erwähnungen von Theesen und Vilsendorf stammen aus dem Jahre 1151, von Jöllenbeck aus dem Jahr 1191. Diese Erwähnungen nahmen die Gemeinden zum Anlass, im Jahre 1991 „800 Jahre Jöllenbeck“ oder 2001 „850 Jahre Theesen bzw. Vilsendorf“ zu feiern. Bei den Urkunden handelt es sich nicht um Gründungsurkunden dieser alten „Burschaften", sondern in diesen Urkunden wurden Veränderungen von Besitzverhältnissen festgehalten oder bestimmte Abgaben geregelt. Jöllenbeck, Theesen und Vilsendorf waren danach Bauerschaften, die sich aus mehreren kleineren Ortsteilen bzw. Nachbarschaften zusammensetzten.
Jöllenbeck, Auf dem Tie 12 | Theesen, Abzweigung nach Schildesche 12 | Vilsendorf, Abzweigung nach Laar12 |
Während sich in Theesen und Vilsendorf erst im 20. Jahrhundert durch Schule und Kirche sowie Zunahme der Bebauung heutige Ortskerne entwickelten, wurde in Jöllenbeck im geografischen Mittelpunkt der einzelnen Ortsteile Ende des 12. Jahrhunderts am Tie, dem Versammlungsort für die örtlichen Bauern, eine Kirche gebaut und damit ein Ortskern gebildet.3
Aus einer 6,8 x 10 m großen Kapelle entwikkelte sich im Laufe der Jahrhunderte durch An- und Umbauten eine Dorfkirche, die für den heimatlichen Raum von großer geschichtlicher Bedeutung wurde. Um und in der Kirche bestatteten die Jöllenbecker ihre Toten. Um diese Kirche bauten sie ihre Fachwerkhäuser: das Schulhaus, den Krug, das Pfarrhaus, den Kramladen, Kotten, das Tiggehaus (Amtshaus und Gefängnis), Zehntscheune (sogenannte Fisseley). Durch einen Torbogen erreichte man das Innere dieser ringförmigen Umbauung, in der mittig die Kirche stand.4
ehemalige Kirche von Osten gesehen 11
Sämtliche Höfe in diesen Orten standen unter der Oberherrschaft eines Grundherrn. Der jeweilige Colon (landbesitzender Bauer) besaß als Inhaber seiner Stätte lediglich vererbbare Nutzungsrechte. Daneben existierte die an die Person gebundene Leibeigenschaft („Eigengehörigkeit"). Diese wurde erst 1808 per Gesetz aufgehoben, von der Grundherrschaft musste sich jeder Hof während des 19. Jahrhunderts mit hohen Ablösesummen freikaufen. Den Grund- und Leibherren, die verschieden sein konnten, sowie den zuständigen Kirchen in Jöllenbeck und für Theesen und Vilsendorf in Schildesche mussten die Bauern erhebliche wiederkehrende Abgaben leisten. Diese fielen insbesondere bei Verheiratungen (sog. Weinkauf) und Sterbefällen an und erschwerten die Wirtschaftsfähigkeit der Höfe erheblich.5 Als Grundherren traten in den drei Ortschaften zum Beispiel der jeweilige Landesherr, das Stift Schildesche, die Johanniter Comturey Herford, Kloster St. Mauritz Münster etc. auf.
Gajos (ex. Meier zu Jöllenbeck) 12 | Upmeier (Bargholzhof) 12 | Upmeier zu Belzen (Uphof) 12 |
Die hier typischen Hofgebäude, von denen noch einige in ihrer Fachwerkbauweise im Stadtbezirk erhalten sind, sind bei ehemaliger landwirtschaftlicher Nutzung überwiegend im Stil des niederdeutschen Hallenhauses gebaut, das sowohl Wohnung als auch Stall und Erntebergung unter einem Dach vereinte.6
Bezeichnend für den Stadtbezirk Jöllenbeck sind auch heute noch die verstreut liegenden kleinen Heuerlingshäuser, auch Kotten genannt, die zumeist im Fachwerkstil erbaut wurden. Diese befanden sich im Besitz der Höfe und beherbergten die der bäuerlichen Unterschicht angehörigen Heuerlinge, häufig auch Kötter genannt, die zahlenmäßig größte Bevölkerungsgruppe. Diese mussten Dienste auf den Höfen verrichten und darüber hinaus Pacht an den Colon zahlen. Zum Kotten gehörte häufig ein kleiner Acker. Dadurch war die Grundernährung der Heuerlingsfamilien meist gesichert. Verbessert wurde der karge Lebensunterhalt durch Verspinnen und Weben von Flachs. Flachs ist eine Pflanze, die auf hiesigen Böden besonders gut wächst und in früheren Jahrhunderten in den Sommermonaten das Landschaftsbild des Jöllenbecker Raumes prägte. |
Eine typische Kötterfamilie vor ihrem Kotten 12 |
Grafschaftsdenkmal 12 |
In der Nähe des alten Jöllenbecker Ortskerns errichtete man 1909 im sog. Kantorengarten das Grafschaftsdenkmal, im Volksmund Adlerdenkmal genannt. Es sollte an die 300-jährige Zugehörigkeit der Grafschaft Ravensberg zum Kurfürstentum Brandenburg, dem späteren Königreich Preußen, erinnern. Tatsächlich waren die Grafen von Ravensberg als Landesherren Jöllenbecks schon 1346 ausgestorben. An ihre Stelle traten im Erbgang in den folgenden Jahrhunderten zunächst die Herzöge von Jülich-Berg, 1511 die Herzöge von Kleve-Mark. Nach deren Aussterben im Jahr 1609 folgte ein jahrzehntelanger Erbstreit zwischen den Kurfürsten von |
Brandenburg und den Herzögenvon Pfalz-Neuburg, der zu den Verwicklungen des 30-jährigenKrieges beigetragen hatte und erst 1666 im Einigungswege beigelegt werden konnte.Dadurch fiel Jöllenbeck den Brandenburgern, den späteren Königen von Preußen, zu und stand bis zur Abdankung des preußischen Königs 1918 unter preußischer Oberhoheit. Mit diesen Herrschaftswechseln rückte die Verwaltung der Grafschaft zunächst in das weit entfernte Rheinland, später nach Berlin. |
Grafschaft Ravensberg 12 |
Für Jöllenbeck war diese Entwicklung von größter Bedeutung. Denn von 1522 bis 1719 tagten in der Jöllenbecker Kirche, |
Ab 1647 fanden die Landtage nicht mehr ausschließlich in Jöllenbeck statt. Friedrich Wilhelm I. verwies 1719 die Landtage nach Bielefeld, das bedeutete das Ende der Landtage in Jöllenbeck.9
Im 18. Jahrhundert wuchs die Bevölkerung nicht nur im hiesigen Raum, sondern im gesamten Westen von Preußen stark an. Das Land der Allgemeinheit, die Allmenden oder Marken, an denen die Höfe- und Stättenbesitzer, aber teilweise auch die Heuerlinge Pflanz- und Huderechte (Weiderechte) hatten, wurde aufgeteilt. Die Marken waren jedoch in ihrem Nutzungswert durch Überbeanspruchung (Holzeinschlag, Hude, Laubstreu- und Plaggenentnahme) so geschädigt, dass sie immer mehr verheideten. Hauptheide, Jöllenbecker Heide, Theeser Heide, Rachheide, Heidsieker Heide u.a. sind heute noch Flurbezeichnungen und Straßennamen, die auf die Verheidung im heimischen Raum hinweisen. Bei dieser Teilung wurden aber die Heuerlinge, die nur gewohnheitsrechtlich eine Nutzung in der Mark besaßen, nicht berücksichtigt. Ihre Situation verschlechterte sich dadurch erheblich, da sie nun zusätzlich Land pachten und sich mit Nebenerwerb das dazu benötigte Geld erwirtschaften mussten.10
Die Höfe, die entsprechend ihrer Größe Berücksichtigung fanden, vererbpachteten häufig ihren Markenanteil, so dass in Folge der Markenteilung neue Erbpachtstätten und Kotten entstanden, die die Wohnungsnot linderten. Auch das heutige Zentrum Jöllenbecks entstand auf Markengrund.
Königreich Westfalen 13 |
Mit den napoleonischen Kriegen entstand am 18. August 1807 das Königreich Westphalen, das von Napoleons jüngstem Bruder Jérôme von Kassel aus geführt wurde. Dazu gehörten auch Jöllenbeck, Theesen und Vilsendorf. Nachdem mit Beschluss vom 13. Dezember 1810 die Staatsgrenze revidiert wurde, kam dem Johannisbach die Funktion einer Staatsgrenze zu. Jöllenbeck, Vilsendorf und Obertheesen wurden somit französisch, während Schildesche und Untertheesen beim Königreich Westphalen verblieben. Für die Obertheeser und die Vilsendorfer bedeutete dieser Zustand, der bis zum Ende der napoleonischen Zeit 1813/1815 andauerte, dass sie ins Ausland (Schildesche) zur Kirche gehen mussten! |
Quellennachweis
2) Horst Ulrich Fuhrmann: Jöllenbeck im Wandel der Zeit, Bielefeld 1991, S. 109.
3) Ebd., S. 23.
4) Gertrud Angermann: Aus den Alben des Heimatvereins (1949), in: Heimatverein Jöllenbeck von 1947 e.V. (Hg.): Jöllenbecker Blätter 27, Bielefeld 1977, S. 917 ff.
5) Lutz Volmer: Von der westphälischen ländlichen Bauart, Hausbau in Ravensberg zwischen 1700 und 1870, Essen 2011,
xxS. 27 ff.
6) Ebd., S. 61.
7) Vgl. Horst Ulrich Fuhrmann 1991, S. 75 ff.
8) Ebd., S. 69.
9) Ebd., S. 182 ff.
10) Vgl. Stefan Brakensiek: Agrarreform und ländliche Gesellschaft: Die Privatisierung der Marken von Nordwestdeutschland, xx 1750–1850, Paderborn 1991.
Bildnachweis:
11) Stadtarchiv Bielefeld (Zeichnung von Paul Heinrich)
12) Archiv HV-Jöllenbeck
13) aus NW vom 14.12.2010
Handwerk und Industrie
Handwerk und Industrie
In einer bäuerlichen Spinnstube |
Handweber bei der Arbeit |
Das Leinengewerbe, das gerade den besitzlosen Heuerlingen die Möglichkeit zum Nebenerwerb gab, geriet in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in eine erhebliche Krise. Das in Konkurrenz tretende Baumwollgewebe sowie die in England neu eingesetzten Spinnmaschinen schufen starke Konkurrenz und führten zur Verarmung der besitzlosen Bevölkerung. Mit der Einführung der Industriemaschinen auch in Bielefeld ab Mitte des 19. Jahrhunderts kam das Leinengewerbe auf dem Lande beinahe zum Erliegen. Viele Familien wurden dadurch zur Auswanderung in die „Neue Welt“ Amerika gezwungen. Jetzt wurden Heuerlinge als Arbeiter in den Bielefelder Firmen eingesetzt. Dass später Ansiedlungen von Produktionsstätten in Jöllenbeck erfolgten, geschah mit dem Gedanken, am Wohnort der Arbeiter zu produzieren.
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So errichtete die Bielefelder Seiden- und Plüschweberei der Gebr. Wertheimer 1889 eine Betriebsstätte in Jöllenbeck und leitete damit die Industrialisierung Jöllenbecks ein. | Jöllenbecker Leineweber |
Ruine Fa.Ravensberger Seidenweberei ehem. Fa. Wertheimer |
Fa. Delcotec Delius Techtex GmdH & Co. KG |
Das ebenfalls in Bielefeld ansässige Unternehmen Carl Albrecht Delius & Söhne gründete wie Wertheimer eine mechanische Fertigung in Jöllenbeck. Zur Jahrhundertwende waren etwa 900 bis 1.000 Menschen in diesen Firmen in Jöllenbeck beschäftigt. Eigentumsbildung und der Hausbau wurden zur damaligenZeit dadurch gefördert. Durch die Ansiedelung dieser Unternehmen veränderte sich die Bevölkerungszahl nur sehr unwesentlich, da in Jöllenbeck ein großes Arbeitnehmerpotential vorhanden war. Erst später wuchs die Bevölkerung; so lebten in Jöllenbeck 1905 etwa 4.150 Menschen.1
Schon früh verfolgte das Unternehmen Wertheimer gegenüber seinen Mitarbeitern eine arbeitnehmerfreundliche Politik, in dem es durch finanzielle Anreize und soziales Engagement ihre Mitarbeiter an den Betrieb zu binden versuchte. Das war zur damaligen Zeit keine Selbstverständlichkeit. Ein seit Generationen fortwirkendes soziales Bewusstsein schuf ein gesundes Betriebsklima.2
Mit dem Einzug moderner Maschinen in die Fertigungsbetriebe und dank ihres unternehmerischen Weitblicks konnten die in Jöllenbeck produzierenden Webereien ihre Position am Markt ausbauen und international tätig werden. Im Jahre 1936 zwang man die Besitzer der Seidenweberei Gebr. Wertheimer wegen ihrer jüdischen Herkunft zum Verkauf ihres Unternehmens. Der Nachfolger produzierte bis 1969 in Jöllenbeck weiter. Danach löste sich das Unternehmen auf. Die Firma Delius, jetzt Delcotex Delius Techtex GmbH & Co. KG, hat seinen Standort gefestigt, Produkte weiter entwickelt und ist heute weltweit präsent.
Es waren aber nicht nur die Webereien, die in Jöllenbeck die Industrie bestimmten. Weitere Industrieunternehmen richteten sich in den nächsten Jahren hier ein. Heute befinden sich im Stadtbezirk Jöllenbeck kleinere und größere Industriebetriebe aus den verschiedensten Gewerbezweigen. Aber auch größere und kleinere Handwerksbetriebe aus unterschiedlichen Bereichen bieten ihre Dienstleistungen an.
Industriegebiet Heidsieker Heide | Industriegebiet Lechtermanns-Hof |
Seit den Anfängen der Industrialisierung waren logistische Herausforderungen zu bewältigen. Die Straßen waren nicht mehr ausreichend geeignet, den wachsenden Verkehr aufzunehmen. Es wurden breitere befestigte Straßen gebaut, die den damaligen Transport von und zu den Fabriken vereinfachten. Die Strecke der Bielefelder Kleinbahn „Bielefeld-Jöllenbeck- Enger“ wurde am 1. April 1901 in Betrieb genommen. Die Unternehmen konnten ihre Produkte nun einfacher auf den Weg bringen. Für die Bevölkerung, vor allem für die Arbeiter in den Bielefelder Betrieben, war es eine Erleichterung auf ihrem Weg in die Stadt. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich Auto- und Busverkehr als schärfste Konkurrenten, so dass 1954 der Personenverkehr und 1955 der Güterverkehr der Bielefelder Kleinbahn eingestellt werden mussten.
Quellennachweis:
1) Vgl. Horst Ulrich Fuhrmann 1991, S. 182 ff.
2) Ebd., S. 281 ff.
Bildnachweis:
Alle Bilder Archiv HV-Jöllenbeck
Das geistliche Leben
Das geistliche Leben
Das geistliche Leben in dieser Region prägte in früheren Jahrhunderten das Stift Schildesche. Verbunden mit einem umfangreichen Ausbau der Jöllenbecker Kirche wurde Jöllenbeck bereits 1308 ein eigenes Kirchspiel als Vikarie des Stiftes Schildesche. Der erste Pfarrer in Jöllenbeck wird wahrscheinlich um 1330 Henricus de Jolenbeke gewesensein. In den nächsten Jahrhunderten wirkten namhafte Pfarrer in Jöllenbeck, die weit über die Region hinaus bekannt wurden.
Von Oktober 1768 bis April 1804 war Pastor Johann Moritz Schwager Pfarrer in Jöllenbeck, der als Aufklärer auf dem Lande in die Geschichte eingegangen ist.1 Er war ein begnadeter Theologe, Lehrer, Publizist, Schriftsteller, Volksmediziner und Satiriker. Europaweit pflegte er Kontakte zu namhaften theologischen und literarischen Kreisen. Seine Botschaft war vor allem geistige Aufgeschlossenheit, Neugier und Toleranz. Pietismus und Separatismus, damals in Westfalen, so auch in Jöllenbeck, weit verbreitet, waren Schwager ein Gräuel. Ein besonderes Verdienst Schwagers fürs eine Gemeinde war die Einführung der Pockenschutzimpfung. Durch seine Erkenntnisse wurden auch die Anbaumethoden in der Landwirtschaft verbessert, welches eine Steigerung der Erträgnisse zur Folge hatte und damit den Lebensunterhalt der Bevölkerung sicherte. 34 Jahre seines Wirkens prägten das kirchliche Leben der Gemeindeim Rahmen der Aufklärung und des Rationalismus. 2
Johann Moriz Schwager 4
„Gerettet sein schafft Rettersinn“ war das Leitmotiv und die Glaubenseinstellung des Jöllenbecker Pfarrers Johann Heinrich Volkening (1796–1877). Er gab einen wesentlichen Anstoß zur Erweckungsbewegung im Ravensberger Land. Die Innere und die Äußere Missionsbewegung und die Entstehung der Missionshäuser sowie vielfältiger Missionsveranstaltungen nahmen dadurch ihren Anfang. Die Gründung eines Jöllenbecker ev. Jünglingsvereins (1838 – später CVJM) und eines Posaunenchores (1843) – der erste in Westfalen – gehen auf die Initiative Volkenings zurück.
Allein aus der Gemeinde Jöllenbeck sind bis 1900 etwa 100 junge Frauen und Männer in die Diakonie und in die Äußere Mission eingetreten, Entscheidungen, die damals auch durch das Werk „Vater“ Bodelschwinghs stark beeinflusst wurden. 1852 war Volkening maßgeblich an der Gründung des Schildescher Rettungshauses beteiligt, ein Hausfür „verwahrloste“ Kinder. Die erste soziale Einrichtung in Jöllenbeck, ein Armen- und Waisenhaus, gründete Volkening 1860 mit Unterstützung der Gemeinde. In seiner Amtszeit wurde auch die Jöllenbecker Marienkirche gebaut (1854 geweiht).
Johann Heinrich Volkening 5
Während sich Jöllenbeck schon im 14. Jahrhundert von der Schildescher Muttergemeinde gelöst hatte, folgte dieser Schritt für Theesen und Vilsendorf erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Bevölkerungszunahme in diesen Gemeinden, die besonders durch den Zuzug der Vertriebenen und Flüchtlinge nach 1945 schlagartig anstieg, sowie die weiten Wege zur Kirche und zum Friedhof ließenden Ruf nach eigenen gottesdienstlichen Versammlungsstätten und Selbständigkeit deutlicher werden. In diesem Zuge entstand 1951 die Auferstehungskirche in Theesen als erste Hallenkirche des Kirchenkreises Bielefeld nach dem Zweiten Weltkrieg. 1958 erlangte die Kirchengemeinde Theesen-Vilsendorf ihre Selbständigkeit und wurde von Schildesche abgepfarrt. 1962 erlangte wiederum die Vilsendorfer Gemeinde, die als gottesdienstlichen Raum zunächst die dortige alte Schule verwandte, ihre Eigenständigkeit und konnte im November 1963 die neue Epiphanias-Kirche einweihen. 3
Ev. Marienkirche Jöllenbeck 6 | Kath. Liebfrauenkirche Jöllenbeck 6 | Ev. Epiphaniaskirche Vilsendorf 6 |
Ev. Auferstehungskirche Theesen 6 | Neuapostolische Kirche Jöllenbeck 6 | Moschee Islamischer Kulturverein 6 |
Ein geschichtsträchtiges Datum für Jöllenbeck war der 18. Dezember 1944, denn in der Jöllenbecker Marienkirche fand zum ersten Mal seit der Reformation wieder ein katholischer Gottesdienst statt. Katholische Evakuierte, vor allem aus Köln und dem Ruhrgebiet, zogen nach Jöllenbeck, um sich vor der Bombardierung der Großstädte in Sicherheit zu bringen. Nach Kriegsende wuchs die Zahl der katholischen Christen durch den Zuzug der Flüchtlinge erheblich an. Die seelsorgerische Betreuung erfolgte von der Schildescher Gemeinde. Der katholische Gottesdienst fand jedoch ab Ostern 1946 regelmäßig in der Evangelischen Marienkirche statt – vor Ort gelebte Ökumene. 1958 konnte nach langer Planungsarbeit die katholische Liebfrauenkirche durch Erzbischof Lorenz Jäger geweiht werden. In den nächsten Jahren erfolgten Um- und Anbauten, so dass heute in Jöllenbeck ein attraktives katholisches Gemeindezentrum mit Kirche, Gemeindehaus und Pfarrhaus besteht. 1972/1973 bauten die neuapostolischen Christenin Jöllenbecks Ortszentrum ein eigenes Kirchengebäude. Seit 1994 gibt es eine Moschee des Islamischen Kulturvereins.
Quellennachweis
1) Halama, Udo: Ein Kreuz verbindet. 150 Jahre Marienkirche Jöllenbeck. Bielefeld 2004, S. 170 ff.
2) Frank Stückemann: Johann Moritz Schwager (1738-1804). Ein westfälischer Landpfarrer und Aufklärer ohne Misere, Bielefeld 2009.
3) Kai-Uwe von Hollen: Zur Entstehung der Auferstehungskirche in Theesen vor 60 Jahren, in: Ev.-luth. Auferstehungskirchengemeinde Theesen (Hg.): Festschrift 60 Jahre Auferstehungskirche Theesen, Bielefeld 2011, S. 9 ff.
Bildnachweis:
4 ) LwL
5 ) Wikipedia
6 ) Archiv HV-Jöllenbeck
Früher und heute
Jöllenbeck - früher und heute
Geht man heute durch das Dorfzentrum Jöllenbecks, so fallen die drei Brüngerhäuser an der Amtsstraße 20 bis 24 auf, die direkt an dem Quellgebiet der Jölle liegen und vom Eigentümer Friedrich- Wilhelm Brünger vollständig restauriert wurden. Besonders das um 1727 gebaute Haupthaus (Nr. 22, heute Café) beinhaltet umfangreiche Reste der originalen Ausstattung (z.B. alten Kamin, Bleisprossenfenster am Wohnteil, Webstube für bis zu vier Webstühle, originale Innentüren etc.). Es war sowohl für den Gewerbebetrieb (Leinenweberei, Leinenhandel) als auf die ebenfalls betriebene Landwirtschaft eingerichtet.
Das Gebäudeensemble verkörpert die 300-jährige Entwicklung einer im ländlichen Bereich gewerbetreibenden Familie und vermittelt einen Einblick vom Jöllenbecker Ortsbild der letzten Jahrhunderte. Während die Bielefelder Innenstadt, vor allem die Altstadt, im letzten Krieg stark zerstört wurde, blieben die ehemaligen Gemeinden Vilsendorf, Theesen und Jöllenbeck vom Kriegsgeschehen weitgehend verschont. Am 2. April 1945, es war der zweite Ostertag, erreichten die Alliierten, von Werther kommend, die Gemeinde Jöllenbeck. Durch ein kurzes Kampfgeschehen wurden einige Häuser sowie die Betriebsgebäude der ehemaligen Firma Wertheimer zerstört.
Zeichnung Dorfkern am Tie um 1825/28 | Ausschnitt einer Aufnahme vom Dorfmodell um 1825 | heutiges Zentrum Marktplatz Luftaufnahme |
Obwohl Jöllenbeck also kaum Kriegsschäden hatte, ist heute vom alten Ortskern nur noch wenig zu erkennen. Mit dem Abriss der mittelalterlichen Kirche im Jahre 1877 zerstörte man zunächst das Zentrum des alten Ortskerns. Um 1900 folgten weitere Abrisse für Turnhalle und Schulgebäude. Aber auch im neuen Teil des Dorfes verschwanden immer mehr die alten Fachwerkgebäude. Viele stuckverzierte Häuser, erbaut um 1900, veränderte man in den 1960er Jahren sehr stark und passte sie dem damaligen Zeitgeist an. Die letzten Fachwerkgebäude um den heutigen Tiestein riss man 1972 ab, so dass von der ringförmigen Umbauung um die alte mittelalterliche Kirche kaum noch etwas zu erkennen ist.
Nach 1945 stieg die Bevölkerung durch den Flüchtlingsstrom aus den Ostgebieten stark an. In diesen Jahren der Not, die sich bis in die 1950er Jahre hinzogen, war eines der dringlichen Probleme die Wohnraumversorgung. Die Gebäude, vor allem die alten Fachwerkgebäude, waren häufig im desolaten Zustand. In den Häusern lebten die Menschen beengt, die teilweise primitiven sanitären Einrichtungen waren erneuerungsbedürf-
tig. So kann man verstehen, dass die Menschen sich nach etwas Neuem sehnten. Altes wurde abgerissen, neue Siedlungen entstanden, Häuser wurden renoviert und saniert. Kanalbau, Wasserversorgung, Straßenbau, Schulentwicklung, Schwimmbad, Sportstätten – Vieles wurde lokalpolitisch geplant und auch ausgebaut. Um infrastrukturelle Aufgaben besser zu lösen und zu koordinieren, wurden 1952 die Gemeinden Ober- und Niederjöllenbeck zusammengelegt. Schon 1930 waren die eigenständigen Gemeinden Theesen und Vilsendorf bereits dem Amt Jöllenbeck zugeordnet, das 1922 die erste eigene Verwaltung bekam. Nun gehört das ehemalige Amt Jöllenbeck mit den ehemaligen Gemeinden Jöllenbeck, Theesen und Vilsendorf seit dem 1. Januar 1973 zur Stadt Bielefeld, die eigenständigen Gemeinden bestehen verwaltungsmäßig nicht mehr.16
Trotzdem hat jede Gemeinde im jetzigen Stadtbezirk Jöllenbeck ihre Individualität behalten. In den ehemaligen Gemeinden gibt es ein lokales lebendiges Vereinswesen und aktive Kirchengemeinden. In jeder Gemeinde sind lebendige Infrastrukturen, vor allem für die Grundversorgung, entstanden, so dass der Zuzug junger Familien nach wie vor anhält. So gilt auch weiterhin: Jöllenbeck – ganz oben in Bielefeld!
Quellennachweis
16 Vgl. Horst Ulrich Fuhrmann 1991, S. 585 ff.